Temeswar, Arad, Glogowatz – was war, was ist und was bleibt?

Temeswar, Arad, Glogowatz – was war, was ist und was bleibt?

Vielleicht muss man bis zum Herbst warten, um die Ernte eines Sommers einzufahren, eines Sommers, der sich in Temeswar, Arad und Glogowatz vollzogen hat. 

Was war der Anlass für diese Reise?

Natürlich der Umstand, dass sich Temeswar als europäische Kulturhauptstadt präsentierte. Dies war wahrlich eine gute Gelegenheit mich etwas intensiver mit der Stadt zu befassen, die ich im Oktober 2016 – per Zufall oder Fügung –  just zu dem Zeitpunkt besucht hatte, als man dort den Einzug von Eugen von Savoyen vor genau 300 Jahre gefeiert hatte. Viel gebe es dazu zu sagen, da dieses Ereignis sich in vielfältiger Weise auch auf mein Leben und das aller Banater Schwaben auswirkte. Doch am meisten hatte mich die menschliche Geste des Prinzen beeindruckt, dem osmanischen  Militär und den Bewohnern freien Abzug bis nach Belgrad zu gewähren, wenn sie die Verteidigung der Festung aufgeben.

Temeswar ist natürlich die Stadt, die eng mit der Besiedlung des Banats im 16 und 17. Jahrhundert zu tun hat und von der wichtige, intellektuelle, kulturelle und wirtschaftliche Impulse ausgingen. Gleichzeitig war sie Bischofssitz für die katholischen Gemeinden im Banat. In ihrer Blütezeit sind beeindruckende Stadtviertel, Kirchen, Parks Unternehmen und Vereine entstanden. Vieles hat sich in den letzten Jahren getan, aber die Herausforderungen bleiben groß, denn die Zahl der Jugendstil-Villen und -Mietshäusern ist einfach enorm. Auch darf und soll sich eine Stadt weiterentwickeln und neue Akzente setzen: Eine gelungene Verbindung von „alt“ und „neu“ schmeichelt dem Auge!

Was bedeutet mir/uns Arad?

Natürlich lag es auf der Hand Arad zu besuchen. Die Begegnung mit Erika und ihrer Familie, die ich ebenfalls 2016 auf sehr wunderbare Weise in Maria Radna kennenlernte, war ein weiterer schöner Höhepunkt der Reise. Unvergesslich bleibt die große Gastfreundschaft und die fröhlichen Stunden, die wir miteinander verbracht haben. Ihr verdanke ich, dass mein Rumänisch wieder fließend ist und sich mein geographischer Horizont erweitert hat. Ihr Mann Nelu, der als Kreis-Bauleiter viele Großprojekte in Arad betreut hatte, hat uns unvergessliche Einblicke in einige seiner Projekte gezeigt, unter anderem das UTA-Stadion, eine Fußgängerbrücke über die Marosch, die unter seiner Leitung restaurierte „Sala Ferdinand“ im Rathaus und den Konzertsaal im „Palatul Cultural“ gewährt. Immer noch bin ich von der Schönheit dieser Bauwerke fasziniert.

Auch sonst ist Arad für uns Glogowatzer eine Reise wert, weil viele Erinnerungen damit verbunden sind: Der erste Langos von einer gheretă, die ersten profiteroles oder eclàirs in der Libelula, der erste Kinobesuch im Dacia oder eine Aufführung im Theater. Auch das Anstehen um zwei Liter Milch oder ein Kilo Zucker im Innenhof der alimentara „Central“ am Boulevard bzw. Corso, wo es jetzt Pommes von McDonalds gibt, gehören dazu. Die „Ziridava“ und die „Podgorie“ sind noch da, also die Plätze wo es mit Bus oder Bahn nach Glogowatz ging. 

Dieses Mal sind Elke (meine Freundin mit Ur-, ur- Stuttgarter Wurzeln) nicht mit öffentlichen Verkehrsmittel gefahren, sondern Nelu hat uns mit dem Auto durch die Stadt, Micalaca und dem im letzten Jahrzehnt entstandenen Gewerbe- und Einkaufspark nach Glogowatz gebracht. Dort wo früher „Kukruz“ oder „Frucht“ gewachsen sind und der Blick ins Grüne oder zum Glogowatzer Kirchturm schweifen konnte, parken jetzt Autos auf dem Asphalt. 

Wie präsentiert sich Glogowatz?

Nun, die vertrauten Straßen sind erkennbar, teils wurden Häuser abgebrochen, neue errichtet, manche stehen tip-top da, andere drohen zu verfallen. Auch die Mühle ist noch da, wird aber als Kaufhaus genutzt. Eine gewisse Wehmut macht sich breit, kein vertrautes gemeinschaftliches Leben spielt sich in den Gassen und Gärten ab. Was bis vor gut dreißig Jahre nicht nur für Glogowatz kennzeichnend war, ist physisch nicht mehr da: Jenes Miteinander als Gleichklang im Denken und Fühlen, die Freund- und Hilfsbereitschaft, das Leben aus dem Wissen heraus, dass man sich einem höheren Gut verantwortet wusste, steigt nur noch vor dem inneren Auge auf.

Die Kirche ist tagsüber verschlossen, deshalb muss auch hier die Erinnerung helfen; die Erinnerung an das Kirchweih- und andere Feste wie Weihnachten. Ostern, Pfingsten mit ihren umgreifenden Vorfreuden, der Hochstimmung und den typischen Bräuchen. Untrennbar mit unserer Kirche ist die Erinnerung an Herrn Dechant Pettla verbunden, der nicht nur das Evangelium kannte, sondern stets dafür sorgte, dass die Kirche auch baulich stets in Stand gesetzt blieb. Ja dort haben wir – die Erlebnisgeneration – unsere Prägung erhalten, zu der Tugenden wie Redlichkeit, Ehrfurcht vor dem Alter, Dienst an der Gemeinschaft, Fleiß, Leben im Glauben selbstverständlich dazu gehörten und wertgeschätzt wurden.

Auf der Rückfahrt nach Arad hatte mich Elke gefragt, „Warum seit Ihr gegangen?“ Ja, warum sind wir gegangen? Hier einige Erklärungssplitter, die jeder ergänzen mag: Verbitterung infolge der Verschleppung nach Russland, Enteignung sowie weitere kommunistische Diskriminierungen, Wunsch nach Freiheit, wirtschaftlicher Niedergang und Angst, die eigene kulturelle Identität zu verlieren; „Der Letzte macht das Licht aus“, wer kennt nicht diesen Satz?

Fazit:

Vor meiner Reise hatte mir Erika verschiedene Filme über die frühere donauschwäbische Kultur und Lebensweise zugesandt. Beim Betrachten befiehl mich das merkwürdige Gefühl, wohl Teil einer aussterbenden Spezies zu sein, die es nur noch museal gibt. Nein, Teil eines gewesenen Films sind wir nicht! Wir leben und haben die Möglichkeit, das Schöne und Gute jener Gemeinschaft bewusst im „Hier“ und „Jetzt“ zum Ausdruck zu bringen. Nicht selten haben spätere Generationen den Verlust dessen bedauert, was vorschnell als „alter Krempl“ weggeworfen worden war. Sie haben dann die Rekonstruktion versucht: Klasse, wenn es noch Meister gibt, die wissen, wie es geht! 

Zu guter Letzt:

Anlässlich der 62. Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben in Altötting viel mir ein Buch aus der Reihe „Bibliothek donauschwäbischer Klassiker“, herausgegeben vom Hartmann Verlag Sersheim in die Hände. „Das idyllische Jahr“ von unserem Dichter Adam Müller-Guttenbrunn hat mit den Sommer wunderbar verschönert. In einigen Kurzgeschichten schimmert ein bissl was von der vertrauten Lebensart durch, zudem steckt auch viel an Poesie und Lebensweisheit drin, die nichts an Aktualität verloren haben – deshalb sei es hier wärmstens zur Lektüre empfohlen.

Katharina Höllich

Glogowatz, Stuttgart

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